Mein Cousin erzählt, er sei in Bellwood bei Chicago zu seinem Schwiegervater ins Auto gestiegen, um irgendwo in Ohio Bekannte zu besuchen. Das war eine Strecke von mehreren hundert Kilometern. Beide beschlossen, solange zu singen, bis sie keine Liedtexte aus dem Gesangbuch mehr auswendig wüssten. Zum Glück hatten sie in der Kindheit und auch während ihres kirchlichen Dienstes fleißig die Texte gelernt. So reichte der Liedervorrat bis zum Ziel ihrer Reise. Stundenlang sangen sie ein Lied nach dem anderen mit allen Strophen, die dazugehörten.
Wie sähe das heute bei uns aus? Die meisten wären schon am Ende, bevor sie den Heimatort richtig hinter sich gelassen hätten. Bei dieser Autofahrt hat es den beiden sicher allerlei Abwechslung gebracht, und ein wenig wird auch der Ehrgeiz zu seinem Recht gekommen sein; aber wie sieht es aus, wenn man durch dunkle Tage, durch Angst und Schmerzen gehen muss? Wüssten wir unser Herz mit Trostliedern aufzumuntern? In China lernen die Christen in den Hauskirchen fleißig Bibelteile auswendig. Man kann ja ins Gefängnis kommen oder der Bibeln beraubt werden, und die Wahrscheinlichkeit dazu ist dort sehr groß. Wie erginge es uns dann?
Es ist schade, dass weder in den Schulen noch in den Kinderveranstaltungen der Gemeinden auf das Lernen von Sprüchen und Liedern großer Wert gelegt wird. So haben die jungen Menschen nichts, wenn schwere Zeiten kommen, nichts, was sie in Krankheit und Not tröstet, nichts was sie über Enttäuschungen hinwegbringt und nichts was ihnen hilft, wenn es ans Sterben geht. Aber es ist nie zu spät, ein Lied von Paul Gerhard oder einige Psalmen auswendig zu lernen.
Hermann Grabe