Nie pflegte die alte Frau ihr Fenster zur Straße hin zu öffnen; aber auch wenn es fest verschlossen war, bekam sie keine Ruhe. Die Jungen aus der Nachbarschaft hatten nämlich herausbekommen, dass sie sich einen Riesenspaß machen konnten, wenn sie kleine Steine gegen die Scheiben der alten Dame warfen. Taten sie es lange genug, konnten sie sicher sein, dass der Alten die Geduld ausging. Dann riss sie das Fenster auf und beschimpfte die Jungen aufs Gröbste. Denen machte das aber im wahrsten Sinn immer nur großen Spaß; denn sie brauchten nicht zu fürchten, die alte Frau käme plötzlich mit einem Besen herunter.
Eines Tages kam gerade ein jüngerer Mann in seinem Auto vorbei. Blitzschnell begriff er, was sich hier abspielte. Er bremste scharf, sprang aus dem Wagen und schnappte sich einen der Rüpel. Man hörte noch gerade, wie er sagte, er werde ihm zeigen, wie man sich alten Frauen gegenüber benimmt, dann brauste er davon. Schon im Auto wurde die Strafe ausgesprochen: Der Junge musste von seinem Ersparten eine Schachtel Pralinen kaufen, zu der alten Frau hingehen und sich entschuldigen. »Das kannst du doch nicht von mir verlangen!«, begehrte der Junge auf. »Doch, als dein Vater kann und will ich das von dir verlangen, damit du lernst, dich wie ein anständiger Mensch aufzuführen.« – »Die anderen haben das aber doch auch gemacht!«, sagte der Junge noch. »Aber ich bin dein Vater, und nun schweig davon still, sonst kaufst du zwei Pralinenschachteln!«
Gott ist ein guter Vater und hat seine Leute lieb; aber wahre Liebe lässt die Kinder nicht verkommen, darum muss er sie erziehen. Und da hält er es manchmal für nötig, strenger zu sein, als uns lieb ist.
Hermann Grabe