Es ging hektisch zu in dieser Nacht. Der Fall »Jesus« sollte schnell abgehakt werden. Pilatus war durch verschiedene Umstände skeptisch geworden, aber er war kein politischer Anfänger. Also gab er dem Mob eine Chance. Sie sollten wählen: denjenigen, der Lazarus aus den Toten auferweckt hatte, oder denjenigen, durch dessen Schwert wahrscheinlich schon viele Menschen ins Grab gebracht wurden. »Ist doch klar«, sollte man meinen, »sie werden sich für Jesus entscheiden.« Aber die Leute wählten Barabbas.
Die Masse entscheidet sich immer für den Wilden, den Rebellen, den Brutalen. Sie entscheidet sich meistens für die Wölfe: die Barabbasse, die Stalins, die Hitlers dieser Welt. Sie verwerfen den Sanften, den Demütigen, den Diener - das Lamm. Was wäre geschehen, wenn wir dabei gewesen wären? Wen hätten wir gewählt?
Bestimmt sind wir davon überzeugt, dass wir uns für Jesus und nicht für Barabbas entschieden hätten. Hätten wir das aber wirklich getan? Die Stimme der Masse ist machtvoll. Nur wenige Tage vor diesem Prozess schrie die Menge: »Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe!« Jetzt schrieen sie: »Kreuzige ihn, kreuzige ihn!« Der Druck der Masse kann uns durcheinander bringen, uns Furcht machen, oder uns mit fortreißen, sofern wir denn von uns aus anders hätten entscheiden wollen.
Hilf uns, Herr! Manchmal stehen auch wir in der Menge und entgegen allem besseren Wissen sind wir versucht, uns für den Wolf zu entscheiden. Hilf uns, dass wir das Lamm wählen. Rudi Joas