»Massenflucht vor dem Krieg«, »Tödlicher Unfall im VW-Werk«, »Elbe durch Abwasser vergiftet«, »Hunderte obdachlos durch Flut«. Täglich spucken die Druckerpressen solche oder ähnliche Schlagzeilen aus. Nicht selten schließt der dazugehörige Bericht mit einer Anklage des Redakteurs in Richtung einer höheren Macht: »Wo war Gott und warum hat er das zugelassen?«
Ungeachtet der Tatsache, dass es keine in jedem Fall passende Antwort auf diese vielschichtige Frage gibt (und an dieser Stelle auch gar nicht gesucht werden soll), ist doch verwunderlich, wie schnell Gott oft für alles, was aus dem Ruder läuft und im Leid endet, verantwortlich gemacht wird. Solange das Leben in geordneten und unbeschwerten Bahnen dahinzieht, spielt Gott in der Gedankenwelt eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Beim Aufziehen dunkler Wolken und bedrohlicher Stürme aber (selbst wenn sie andere betreffen und einen selbst gar nicht erreichen), bricht eine Welle von Vorwürfen und Beschuldigungen an Gottes Adresse los.
Wo aber bleibt der dankbare Blick nach oben, für das täglich Gute, das unausgesprochen als Selbstverständlichkeit hingenommen wird? Unsere Tische sind gedeckt, wir haben ein Dach über dem Kopf und genügend Kleidung passend für jede Jahreszeit im Schrank. Unter der schützenden Glocke einer Wohlstandsgesellschaft leben wir in einem behüteten Raum, inklusive aller garantierten Menschen- und Grundrechte. Wenn wir das nächste Mal im Schatten des eigenen oder fremden Leids Gott auf die Anklagebank bringen wollen, sollten wir uns zuvor auch dankbar des ungezählten Guten erinnern. Martin von der Mühlen