Ein kleines, etwa vierjähriges Mädchen sah ich aus einem Haus kommen. Es ging die Straße hinab. Sogleich erschien ihr Vater und rief: »Claudia, komm zurück!« Sie ging völlig unbeeindruckt weiter. »Claudia, komm!« Auch das half nicht, auch nicht, als er mit aller Macht schrie: »Claudia, komm jetzt sofort zurück!« Er hatte verloren und rief der Kleinen noch nach: »Bleib aber nicht zu lange!«
Wie, so frage ich mich, sah es in dem kleinen Mädchen aus? Ihre Eltern waren viel größer als sie und hatten ihr alles gezeigt, was sie bis jetzt wusste. Und doch beherrschte sie zumindest ihren Vater völlig. Wie viel fürsorgliche Lenkung wäre noch nötig gewesen, ehe Claudia selbstverantwortlich für sich eintreten konnte, fehlten ihr doch noch die meisten »Messdaten«, aus denen man sinnvolle Entscheidungen ableiten könnte. Und außerdem, wenn sie mit vier Jahren schon stärker als ihr Vater war, zu wem könnte sie gehen, wenn sie einmal Kummer haben und in Schwierigkeiten geraten wird? Weit und breit gibt es ja nur sie selbst!
Fast folgerichtig ist dann in der Pubertät die Flucht in die Clique. Um dort anerkannt zu werden, tut man alles, was die Clique fordert; denn da ist man anfangs das schwächste Glied. So geraten manche jungen Leute in die Kriminalität und den Drogenmissbrauch.
Eltern haben nicht das Recht, sondern die Pflicht, ihren Kindern liebevoll Leitlinien zu geben, die »Gummiwand« zu sein, an der sie sich nicht verletzen, wenn sie »mit dem Kopf durch die Wand wollen«, die aber doch genügend Widerstand bietet, so viel zu lernen, dass sie nicht an den »Betonwänden« der kalten Außenwelt zerbrechen.
Hermann Grabe