Aus den Tiefen rufe ich zu dir, HERR! ... Ich warte auf den HERRN, meine Seele wartet; und auf sein Wort harre ich.
Psalm 130,1-5
Das ist eine vielfach unterschätzte Begleiterscheinung von Erkrankungen. Durch alles Mögliche, sogar durch Medikamente, wird der menschliche Geist dann beeinträchtigt. Man kann ihn nicht mehr so »füllen«, dass sich das positiv auf die Befindlichkeit auswirkt. Im Gegenteil: Es kann sogar zu falschen Wahrnehmungen bis hin zu Wahnvorstellungen kommen, die den Geist in einen tiefen Abgrund stürzen lassen. Sätze aus einem Buch lesen sich schwerer, ihre Bedeutung erfasst man nicht mehr. Die Empfänglichkeit für ein geistliches Angebot sinkt ins Bodenlose. Man fühlt sich weiter von Gott entfernt als jemals zuvor. Schon die Schreiber der Psalmen haben so etwas durchmachen müssen, wie unser Tagesvers zeigt.
Wie lange so ein Zustand anhält, ist offen. Manchmal fragt man sich sogar, ob sich überhaupt wieder etwas zum Guten ändern wird, obwohl das, Gott sei Dank, in den meisten Fällen so ist. Wenn man auf sich selbst schaut, findet man einfach keinen Anhaltspunkt dafür, warum es wieder besser werden könnte. Man sitzt tief in einem Loch, und es fällt kein Licht so weit hinunter, dass man dadurch Hoffnung schöpfen könnte. So sind wir Menschen beschaffen, schwach und unvermögend, wenn wir von Krankheit, Schmerzen und körperlichem Leid geplagt werden.
Doch es gibt auch Dinge, die uns dann wieder aufrichten: die Nähe einer Person, eine Hand, die die unsere hält, ein tröstendes Wort, eine Zuwendung, ein Geschenk, eine Mahlzeit oder ein Getränk, je nachdem, wie es unseren Zustand lindert oder uns von unseren Schmerzen ablenkt. Und wenn kein Mensch da ist? Dann ist da immer noch Gott, zu dem unsere Seele nicht vergeblich schreit, der unser Elend sieht und uns hält, sodass wir nicht ganz und gar ins Bodenlose sinken.
Joachim Pletsch