Die alt gewordene Missionarin Elisabeth Seiler (1889-1974) erzählte: In China feierte man eine Aussöhnung zwischen zwei Menschen so: Man plante ein gemeinsames Essen. Elisabeth Seiler erkundigte sich daraufhin nach den Regeln dafür. Die Frau, die es ihr erklärte, lachte und antwortete: »Beim Versöhnungsmahl gibt es Nudeln in einer Brühe. Nach der Versöhnung kommt diejenige, die um Verzeihung gebeten wurde, zur anderen zum Abendbrot; dann essen beide aus der gleichen Schüssel, bis sie leer ist.« Eine beeindruckende Geste, auch wenn sie in unseren europäischen Ohren eher kindlich klingt.
Drei Besonderheiten fallen mir dazu ein: 1. So ein Versöhnungsmahl setzt ein uneingeschränktes Vergeben voraus. Der beidseitige Wille, das Trennende endgültig aus der Welt zu schaffen, wird gestärkt. 2. Beide Kontrahenten reden wieder miteinander. 3. Eine praktische Folge der Versöhnung kann konstruktive Zusammenarbeit sein. Denn es gibt keinen Grund mehr, wegen der anderen Person die Straßenseite zu wechseln.
Ob so ein Versöhnungsmahl in China noch heute so praktiziert wird, weiß ich nicht. Aber irgendwie beneide ich an dieser Stelle jene Kultur. Nicht, weil ich mit anderen unbedingt aus einer Schüssel essen möchte, sondern weil Versöhnung zum Fundament für etwas ganz Neues werden kann. Von mir bisher für schlecht gehaltene Menschen werden wieder liebenswert. Das schafft Vertrauen. Das eigene Anspruchsdenken sinkt. Das Eingestehen von Versagen beraubt uns nicht, sondern gibt etwas. Allerdings wissen wir aus der Bibel, dass wirkliches, dauerhaftes Vergeben nur möglich ist, wenn wir Gottes Vergebung durch seinen Sohn selbst erfahren haben. Stefan Taube