Ein Tourist sieht eine zeitlang einem Bildhauer zu, der mit Hammer und Meißel einen rohen Marmorblock bearbeitet. Brocken fliegen, und überall ist Staub in der Luft. Das ganze kommt dem Betrachter ziemlich planlos vor. Wie er aber am nächsten Tag wieder vorbeischaut, erkennt er, dass die Grundzüge einer menschlichen Gestalt sichtbar geworden sind und verwundert fragt er: »Woher wussten Sie, dass der Mann in dem Block steckt?« Unser Kunstfreund mag uns sehr unbedarft erscheinen; aber irgendwie hat er doch recht. Der Meister hat in dem Stein schon das Bild eines Menschen gesehen, bevor er auch nur einen Hammerschlag getan hatte.
Schauen wir uns jetzt noch einmal den obigen Vers an! Bevor wir auch nur geboren waren, sah Gott in uns das Bild eines Menschen, der einmal seinem Sohn, Jesus Christus, ähnlich sehen soll, obwohl wir dem von Natur so wenig entsprechen wie der Marmorblock der fertigen Plastik. Darum muss an uns »geklopft und gehauen« werden. Das gefällt uns selten; denn wer lässt sich schon gern zurechtstauchen! Wenn wir aber danach selbst merken, dass wir in einer Sache so zu handeln und zu denken gelernt haben, wie Gott es will, dann danken wir ihm dafür, dass er sich mit uns solche Mühe gegeben hat. Und dann geht es weiter, bis die nächste Sache deutlich herausgearbeitet ist, und das hört ein ganzes Leben lang nicht auf; aber es lohnt sich. Wenn also ein Christ Kummer und Bedrängnis erfährt, sollte er nicht in erster Linie danach trachten, die Verhältnisse zu ändern, sondern er sollte fragen, was ihm sein himmlischer Vater damit zeigen will, was bei ihm anders werden soll.
Hermann Grabe