Nie mehr wollten die Athener von einem Tyrannen regiert werden. Den letzten hatten sie verjagt und die Demokratie eingeführt, über die die Volksversammlung zu wachen hatte. Stand irgendein Politiker im Verdacht - berechtigt oder unberechtigt - die Alleinherrschaft anzustreben, konnte er durch das Scherbengericht für zehn Jahre aus dem Staat verbannt werden. Wenn 6000 Mitglieder der Volksversammlung seinen Namen auf eine Scherbe, den Wahlzettel der alten Griechen, geschrieben hatten, musste er ins Ausland gehen. Natürlich konnte man sich da schon einmal eines unliebsamen politischen Gegners entledigen.
Im Jahr 482 v.Chr. wurde auch Aristides davon betroffen. Er war ein angesehener Mann und wegen seines Gerechtigkeitssinnes hoch geachtet, sodass er den Beinamen »der Gerechte« trug. Er stand mitten in der Versammlung, als man zum Scherbengericht gegen ihn aufrief. Ein neben ihm stehender Bauer bat ihn, den Namen »Aristides« auf seine Scherbe zu ritzen, denn er konnte nicht schreiben. »Kennst du ihn denn?« fragte Aristides. »Nein«, antwortete der Bauer, »aber es ärgert mich, dass alle ihn den >Gerechten< nennen.« Schweigend erfüllte ihm Aristides seinen Wunsch.
So sind wir Menschen. Wir ärgern uns über die Unarten der anderen, aber wenn sie im Ruf vorbildlicher Gerechtigkeit stehen, ärgern wir uns auch. »Der will wohl besser sein als ich!« Nur Gott hat den sehnlichsten Wunsch, dass alle Menschen vollkommen gerecht werden. Für diese unsere Gerechtigkeit hat er sogar seinen Sohn, Jesus Christus, am Kreuz geopfert. Gerhard Jordy