Der Angler saß in seinem Boot und hatte anscheinend einen Riesenfisch gefangen. Etwa einen Wels von zwei Metern Länge? Aber anstatt sich zu freuen, musste der Angler mit aller Kraft darum kämpfen, dass sein Boot nicht kenterte; denn der große Fisch zog es in rasender Fahrt querab über den See. Schließlich konnte er sich nur dadurch retten, dass er die Angelschnur durchschnitt. Jetzt war nicht nur der Fisch wieder frei, sondern auch der Angler.
Ebenso geht es vielen Leuten, die angetanes Unrecht nicht verzeihen konnten, bis sie schließlich begriffen, dass sie genau an derselben Kette hingen, mit der sie den Gegner festhielten, nur eben am anderen Ende. Sobald sie den Gegner freigaben, also ihm vergaben, waren sie selbst auch frei.
Manche fügen sich selbst viel größeren Schaden zu, als es ihr Gegner zu tun vermochte; denn solange man nicht vergeben kann, ist man gebunden an Rachegedanken. Man versucht, dem Gegner durch Lieblosigkeiten und böse Gerüchte zu schaden, und macht sich selbst dadurch unglücklich. Ein solcher Zustand, der die Seele zerstört, kann oft ein Leben lang anhalten.
Unser Tagesspruch sagt uns indirekt, dass wir dann auch nicht auf Gottes Vergebung rechnen dürfen, solange wir nicht bereit sind, anderen Menschen ihre Bosheiten zu vergeben. Das bedeutet nicht, wir müssten alles schön finden, was sie gemacht haben, sondern nur, dass wir die Sache Gott übergeben haben. Auch liegt es dann nicht in unserer Verantwortung, dass etwa ein Einbrecher oder Kinderschänder vor den Konsequenzen bewahrt bleibt, die seine Übertretung staatlicher Gesetze nach sich zieht. Es geht einzig um das, was uns persönlich betrifft. Einzig dafür sind wir verantwortlich.
Hermann Grabe