Das hätte man von einem Buch der Bibel nicht erwartet. Im Buch Ester wird Gott nicht ein einziges Mal erwähnt, wo er doch ansonsten das Hauptthema der Bibel ist! Warum hat Ester dann trotzdem seinen Platz im Alten Testament gefunden? Weil dies Buch zeigt, dass Gott auch da souverän am Werk ist, wo sein Name gar nicht genannt wird. So manch einer möchte heute Gott am liebsten vergessen. ■Gott ist tot■, lautet gar das Ergebnis, zu dem der Philosoph Nietzsche gekommen ist. Doch das Buch Ester zeigt: Gott ist und bleibt der Lenker der Geschichte und er hat Macht sogar über Weltherrscher.
Für Esters Schweigen ist zu dem Zeitpunkt, wo es ihr Onkel Mordechai ihr empfahl, eigentlich kein Grund ersichtlich. Doch die Vorsehung Gottes fügte es so und eröffnete damit Ester die Chance, sich zu einem späteren Zeitpunkt zu ihrem Volk, den Juden, zu bekennen, um dann etwas Entscheidendes auszurichten.
Über Gott und die eigene Beziehung zu ihm schweigen kann man aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manche möchte ihn am liebsten totschweigen, andere würden gerne von ihm reden, sehen aber für den Moment keine Möglichkeit oder finden nicht den Mut dazu. Noch wieder andere können überhaupt nicht schweigen, sie wollen möglichst allen und zu jeder Zeit mitteilen, was sie mit Gott erlebt haben und warum sie um alles in der Welt sich an ihm festhalten. Zu welcher Gruppe man auch immer zum jetzigen Zeitpunkt gehört, Stellung nehmen muss im Grunde jeder Mensch, wie er zu dem Gott stehen will, der einen Anspruch an alle Menschen erhebt, ihn anzuerkennen, ihn zu lieben und zu verehren. Und wie die Entscheidung auch ausfällt, man legt sich damit fest für alle Ewigkeit.
Joachim Pletsch