Das war eine brenzlige Situation. Bei persischen Königen war ein trauriges Gesicht bei Todesstrafe verboten, weil diese Herrscher nicht an das Leid der Welt erinnert werden wollten. Nun waren ausgerechnet dem Mundschenk »die Gesichtszüge entgleist«, weil er an das Elend seines Volkes denken musste, von dem man ihm berichtet hatte. Aber ein Mundschenk mit bösem Gesicht? Der konnte ja Gift in den Kelch des Königs getan haben. Und der König hatte Nehemias Gesichtsausdruck bemerkt.
Was hätten wir gemacht? Schnell krampfhaft gegrinst? Nehemia fasste sich trotz seiner Angst ein Herz und sagte dem König, worum es ging. Anstatt zornig die Wachen zu rufen, fragte ihn nun der König sogar, um was er bitten möchte.
An dieser Stelle zeigt sich, woher Nehemia seinen Mut nahm. Er pflegte Umgang mit Gott. Gott fiel ihm nicht nur bei der Morgenandacht und beim Tischgebet ein. Er war sein ständiger Begleiter. So schickte er schnell ein stilles Stoßgebet zum Himmel hinauf, vielleicht mit diesem Inhalt: »Danke für die gute Laune des Königs, und gib, dass er meine Wünsche erfüllt!« Beides kann man in zwei Sekunden denken. Aber man muss eben darauf kommen. Und das geht nur, wenn man es geübt hat. Im Nehemiabuch kommen noch einige solcher Stoßgebete vor.
Wäre es nicht gut, wenn man vor Entscheidungen erst Gott um Rat bitten würde? Oder wenn einer von uns einen Rat haben will? Wer dann gewöhnt ist, schnell zu bitten: »Gib mir, dass ich ihm wirklich helfe!«, der kann dann auch wirklich helfen; denn Gott konnte nicht nur dem Perserkönig, sondern er kann auch uns selbst die richtigen Gedanken eingeben.
Hermann Grabe