Es ist früher Morgen. Die ersten Lichtstrahlen fallen in seine kahle Kerkerzelle in der Burg Antonia in Jerusalem. Heute soll er hingerichtet werden. An Schlafen ist nicht mehr zu denken. Die Gedanken kreisen. Er horcht. Ungewöhnlich viele Menschen scheinen draußen bereits auf den Beinen zu sein. Stimmengewirr dringt durch das kleine vergitterte Fenster. Jetzt kann er die durchdringende Stimme des Präfekten Pilatus hören. Ob er in Abwesenheit verurteilt wird? Seine Anklagepunkte sind eindeutig: Aufruhr gegen die Staatsgewalt und Mord. Darauf steht die Todesstrafe! Die Stimmen draußen werden lauter, formieren sich zu Sprechchören. Was rufen sie? »Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!« - »Nein«, schreit er innerlich auf, »nicht diesen grausamen Tod am Schandpfahl ...« Draußen hört er die Menge seinen Namen rufen: »Barabbas! Barabbas!« Keine Frage, es geht um ihn! Verzweifelt verkriecht er sich in die hinterste Ecke seines Kerkers ...
Da! Schritte auf dem Flur, die vor seiner Zelle stehen bleiben. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. »Barabbas, vortreten!« Die Stimme des Wachhabenden ist ungewöhnlich mild: »Barabbas, du bist frei! Du kannst gehen! Ein anderer stirbt an deinem Kreuz!«
Barabbas taumelt nach draußen. Ein anderer an meiner Stelle? Kann das wahr sein? - Ja, Jesus Christus starb am Kreuz, aber nicht nur für Barabbas, sondern auch für Sie und mich! Denn vor Gott sind wir alle durch unsere Sünde des Todes schuldig. Eberhard Platte