Erschreckend häufen sich die Meldungen: Kinder und Jugendliche als Diebe, Räuber, Schläger, Dealer, Mörder. Sie haben keine Bleibe, keinen Schulabschluss, keine Ausbildung, keine Zukunft. Ähnliches, wenn auch nicht in diesem Ausmaß, gab es aber auch schon früher. Einer, der das nicht einfach hinnehmen wollte, war Johann Hinrich Wichern. Geboren am 21. April 1808 als der Älteste von sieben Geschwistern, musste er, als sein Vater starb, schon mit 16 Jahren zum Familienunterhalt beitragen. Durch die damalige Hamburger Erweckungsbewegung wurde er mit 18 Jahren ein entschiedener Christ. Er studierte Theologie, fand jedoch keine Anstellung als Pastor und wurde Lehrer an einer christlichen Privatschule. Durch Besuchsdienste lernte Wichern die Elendsquartiere in Hamburg kennen. Er sah die verwilderten Kinder dort und beschloss den Bau eines »Rettungshauses«.
Mit Hilfe von Förderern konnte er 1833 das »Rauhe Haus« für verwahrloste und schwer erziehbare Kinder eröffnen. Jeweils 10-12 Kinder lebten mit einem Betreuer wie in einer Familie zusammen. Später wurden auch Werkstätten und ein Betsaal gebaut. Es entstand nach und nach ein Dorf, das 1883 30 Häuser umfasste. Die Hauptursache für den geschädigten Charakter seiner Zöglinge sah Wichern in der zunehmenden Abwendung vom christlichen Glauben und den dadurch bedingten zerrütteten Familienverhältnissen und dem Sittenverderben seiner Zeit. Und das gilt in gleicher Weise auch für die Haltlosigkeit vieler Kinder und Jugendlicher heute. Am 7. April 1881 starb Wichern nach Jahren schwerer Krankheit. Er, der vielen aus ihren Nöten herausgeholfen hat, musste selbst von Kindheit an manches Leid erdulden. Otto Willenbrecht