Es war für mich eine aufregende Geschichtsstunde, damals in der Schule. Dr. Real, ein faszinierender Geschichtslehrer, ließ uns den 30-jährigen Krieg miterleben. Als es zu dem entscheidenden Gespräch zwischen den Abgesandten des Kaisers und den böhmischen Ständen kam, beschrieb er drastisch das Handgemenge und den Rauswurf am 23. Mai 1618, heute vor 400 Jahren. Atemlos hörten wir zu. Dr. Real aber sagte: »Ihr könnt euch beruhigen, es passierte den Räten nichts, gar nichts. Sie fielen nämlich auf den Mist.« Wir waren erleichtert.
So begann für uns damals die Beschäftigung mit einer mehr als 30-jährigen Tragödie, denn dieser Krieg mitsamt seinen »Kollateralschäden« und den langfristigen Folgen hatte eher das Zeug dazu, schwermütig zu machen als fröhlich. Das lässt sich sehr gut an der Bevölkerungsentwicklung festmachen. In Bayern, der Pfalz, Thüringen und Mecklenburg waren zwei Drittel der Menschen umgekommen. Es sollte mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, dass diese Gegenden zu den alten Friedenszuständen zurückfanden.
Auch wenn der Krieg von der Frage nach dem rechten Glauben mit verursacht worden war, ging es von Anfang an um knallharte Machtinteressen. Deswegen mischten sich auch alle wichtigen Herrscher in Europa ein. Für die Christenheit aber war der Krieg eine Katastrophe. Der evangelische Dichter Andreas Gryphius sagte in seinem Sonett »Tränen des Vaterlandes«, dass der Krieg vielen Menschen den Seelenschatz – den lebendigen Glauben – abgerungen habe.
Tatsächlich erlebte Deutschland damals eine Phase des Glaubensverlustes wie selten vorher. Das »Zeitalter des Rationalismus« brach sich Bahn, mit Folgen, die bis in unsere Gegenwart reichen. Karl-Otto Herhaus