Der Nobelpreisträger Saul Bellow (1915-2005) hat das lesenswerte Buch »Die Abenteuer des Augie March« geschrieben. Augie March verbringt sein gesamtes, verheißungsvolles Leben damit, den Rest der Welt zu beneiden und mit seinem Schicksal zu hadern. Irgendwann erreicht er den Punkt, an dem er sich eingestehen muss: »Ich hatte die Vorstellung, jeder war mehr als ich und besaß etwas, was ich nicht hatte.« Da er im neidvollen Vergleichen hängen bleibt, ist er am Ende des Buches nicht viel weiter als am Anfang.
Jeremia ist Gott gegenüber ehrlich und fragt ganz offen, warum es den Gottfernen besser geht als den Kindern Gottes. Offenbar aber richtet sich Jeremias Beurteilungsmaßstab nur auf das, was er als zeitgebundener Mensch vor Augen hat (Jeremia 12,2). Man kann wohl sagen, der Seher Jeremia sieht, um das althochdeutsche Wort für »neidisch« zu benutzen, »scheel«, also »schief«. Er hat in seiner temporären Umnachtung nur das materiell sichtbare Wohlergehen der Ungläubigen vor Augen, die vielfältigen Segnungen Gottes für sein Volk zu allen Zeiten aber scheint er ausgeblendet zu haben. Indem er die Augen auf die Mitmenschen (und damit weg von Gott) richtet, gerät sein Urteilsvermögen in eine ungute Schieflage.
Die Bewertung von Lebensumständen hängt mit dem Maßstab zusammen. Das äußerlich negativ Empfundene, z. B. ein Unfall oder eine Krankheit, kann nämlich eigentlich positiv sein, wenn es z. B. zu einer Kurskorrektur führt, die dem weiteren Leben eine neue Perspektive eröffnet oder mich dazu bringt, endlich nach Gott zu fragen und zukünftig auf ihn zu hören. Das erschließt dann Gutes oder Segen, wie die Bibel es nennt, der viel nachhaltiger und reicher erfüllt, als es äußeres Wohlergehen vermag. Martin von der Mühlen