Woran kann es liegen, wenn Weinkenner einen gravierenden Unterschied schmecken, obwohl sie zweimal den gleichen Wein aus denselben Flaschen bei gleicher Serviertemperatur aus den gleichen Gläsern kosten? Tatsächlich am Ort der Verkostung, besser gesagt an dessen Höhenlage. Geruchssinn und Aromaentfaltung ändern sich nämlich mit dem Luftdruck und beeinflussen damit die geschmackliche Wahrnehmung. Dieses Phänomen wurde 2011 in einem Experiment mit professionellen Weinkennern auf der Zugspitze und in der fast 2000 m tiefer gelegenen Ortschaft Ehrwald eindrücklich gezeigt. Es ist schon länger bekannt, dass Weine in großen Höhen milder schmecken als im Tal, und die großen Fluglinien haben sich längst in der Auswahl ihrer Weine auf diese veränderte Wahrnehmung eingestellt. So kann es sein, dass ein dezenter Rotwein, den Sie über den Wolken serviert bekommen, nach der Landung auf dem Boden erstaunlich kräftig und intensiv schmeckt.
Ganz ähnlich ist es mit der Bibel. Der gleiche Vers kann je nach Lebenssituation ganz unterschiedlich wirken. Wer gerade in einem Höhenflug des Lebens unterwegs ist, wird vielleicht nicht viel Geschmack an einem Trostwort wie dem bekannten Vers aus Psalm 23 finden. Aber wer sich gerade auf dem harten Boden der Lebensrealität befindet, wer gerade tatsächlich durch das Tal des Todesschattens schreiten muss, wird etwas von der intensiven Kraft schmecken, die Gottes Wort entfalten kann. Viele Christen, die durch schwere Zeiten gehen mussten, können das bezeugen. Ich bin froh, dass die Bibel nicht nur für die unbeschwerten Hoch-Zeiten gilt, sondern gerade auch in Notzeiten kraftvollen Trost bereithält.
William Kaal