Von manchen Kalifen und Sultanen wird erzählt, sie hätten sich oft unerkannt unter das Volk gemischt, um ihre Leute besser kennenzulernen.
So besuchte einer von ihnen eines der heißen Bäder, und als er eine Sklavenschürze an der Wand hängen sah, zog er sie über und stieg neugierig eine Treppe hinab, die in einen dunklen, nur von einem fernen Feuer erhellten Raum führte. »Ah, hier wird also das Wasser in den Bädern beheizt!«, dachte er, als er eine kleine Gestalt wahrnahm, die Holz für das Feuer herbeischleppte. Es war ein Kind, das in dem niedrigen Raum aufrecht gehen konnte. Der Kalif sprach den Jungen freundlich an, und der erzählte ihm seine ganze leidvolle Geschichte.
Der Kalif gewann den kleinen Sklaven lieb und sagte ihm, er könne sich etwas wünschen, es sei, was es wolle. Der Junge erhob sein rußschwarzes Gesicht, aus dem nur das Weiß der Augen hervorleuchtete, und blickte den Besucher dankbar an. Dann sagte er: »Ich wünsche mir nur eins, dass du nicht fortgehst; denn du bist der Einzige, mit dem ich hier unten reden konnte.«
Beinahe könnte man glauben, der Schreiber unseres Tagesverses sei dieser arme Sklavenjunge gewesen. Und wenn diese Geschichte auch nur Wunschtraum sein sollte, so ist sie doch ein sehr schönes Bild von der wahren Geschichte, dass Gott selbst in unser Elend herabgestiegen ist, um uns zu retten. Und wer das begreift, der weiß, dass es nichts Höheres gibt, als Gemeinschaft mit diesem liebenden Gott zu haben, einerlei, in welchen weiteren Umständen wir sonst noch stecken mögen.
Unser großer Retter ist genauso wenig wie der Kalif da unten geblieben, und auch er nimmt alle seine Freunde mit in sein herrliches Reich.
Hermann Grabe