Als Madeleine am 23. März 1792 den Londoner Konzertsaal betrat, ahnte sie noch nicht, dass es an diesem Abend ein heilsames Erwachen für sie geben würde. Dass der gerühmte Wiener Meister Joseph Haydn eine seiner neuen Kompositionen vorstellen würde, war für sie nichts besonderes; allzu großes Interesse hatte sie nicht daran. Häufig ging sie in diesem Frühjahr zu den Konzertabenden. Das gehörte zu ihrem gesellschaftlichen Leben. Wichtiger als die Vorstellung der 94. Haydn-Sinfonie war ihr die Präsentation ihrer eigenen neusten Garderobe. So geschah es, dass Madeleine schon bald – wie meist beim zweiten, ruhigen Satz der Sinfonie – in einen leichten, behaglichen Schlummer fiel.
Aber diesmal war es nicht ihre Kosmetiktasche, die ihr beim Herunterfallen wieder zum Erwachen verhalf. Schon im 16. Takt des ruhigen Andante fuhr sie wie viele andere Konzertbesucher erschrocken zusammen. Am Ende einer sanften Streichermelodie war ein lauter Paukenschlag platziert. War der Pauker verrückt geworden? Oder hatte der Dirigent plötzlich die Kontrolle über die Partitur verloren? Nein, nichts von dem war der Fall. Der Paukenschlag war von dem Komponisten genau an dieser Stelle eingeplant. Die Einzigen, die die Kontrolle verloren hatten, waren die schlummernden Konzertgäste. Sie waren geschockt! Wollte Haydn genau das mit seiner »Paukenschlag-Sinfonie« erreichen?
Madeleine war von nun an hell wach. Im gewissen Sinne auch über dieses Konzerterlebnis hinaus. Es wurde für sie eine Lektion Gottes: Hatte sie nicht vielleicht schon viel Wichtiges in ihrem eigenen Leben »verschlafen«? Andreas Möck