Haben Sie schon einmal zugesehen, wenn ein Gärtner ein Spalier (Stützkonstruktion für Nutzpflanzen) anlegen möchte? Da wartet er nicht, bis die Stämme und Äste dick und fest geworden sind, sondern er biegt die noch jungen und elastischen Triebe in die gewünschte Richtung. Nun könnte man allerdings sagen, der Gärtner sollte doch die Bäume so wachsen lassen, wie sie wollen; aber das steht weder in seiner Macht noch in seiner Verantwortung, wenn der Gartenbesitzer ihn zum Spalier-Anlegen angestellt hat. Kindererziehung könnte man mit dieser Gärtnerarbeit vergleichen; denn auch wir haben einen Auftraggeber, dem wir Rechenschaft schuldig sind.
In unserem Tagesvers sehen wir, dass der König David die Erziehung seines Sohnes in sträflicher Weise vernachlässigt hatte. Da war es zu einem im wahrsten Sinn des Wortes lebensgefährlichen Wildwuchs gekommen; denn Adonija hätte ohne Gottes Eingreifen genauso gehandelt wie zuvor sein Bruder Absalom, der den König und dessen ganze Familie umbringen wollte, um selbst an die Macht zu kommen.
Erziehung ist nichts anderes, als im Auftrag unseres Schöpfers den »Wildwuchs« der Kinder zu bändigen und sie so früh wie möglich anzuleiten, dem Willen Gottes entsprechend zu leben. Wenn wir diesen Auftrag richtig und verantwortungsvoll ausüben, geschieht das niemals, um sie zu unterdrücken und sie zu Marionetten zu machen, sondern im Gegenteil, um sie die Befreiung von all den Verhaltensweisen erleben zu lassen, die das Leben ohne diese von Gott gesetzten Regeln für die meisten Menschen zur Qual werden lässt. Die wichtigste Regel bei aller Erziehung ist freilich, sich auch selbst den zu vermittelnden Regeln unterstellen; denn ein gutes Vorbild ist wirkungsvoller als alle Appelle.
Hermann Grabe