»Gewonnen!« Felix hat Glück, er hat das richtige Los gezogen. »Wenigstens ein kleiner Erfolg an diesem schweißtreibenden Arbeitstag«, denkt er sich, als er das Gewand an sich reißt. Er und seine drei Kameraden waren heute dem Hinrichtungskommando zugeteilt. Drei Männer sollten gekreuzigt werden, und das bedeutete für die römischen Soldaten Schwerstarbeit. Bei zweien war der Fall klar, es waren berüchtigte Verbrecher. Aber der Mann in der Mitte schien anders zu sein. Warum er getötet werden musste, hatte Felix nicht begriffen. Als Schuldschrift hatte der Statthalter Pilatus lediglich »der König der Juden« oben an seinem Kreuz befestigen lassen - wenig aussagekräftig und schon gar kein Hinrichtungsgrund fand Felix. Während die jüdische Elite den Mann in der Mitte mit Spott überschüttete, hatte einer der anderen Gekreuzigten gerufen: »Wir bekommen, was wir verdient haben, aber dieser hat nichts Schlechtes getan.« Sollte das stimmen? Hatte dieser Jesus von Nazareth tatsächlich eine weiße Weste? Hatte man ihn zu Unrecht verurteilt? Noch erstaunlicher fand Felix die Aussage seines Vorgesetzten, dem Hauptmann: »Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!« Sollte das wahr sein? War er, Felix, zum Mörder eines schuldlosen Menschen geworden? Hatte er tatsächlich den Sohn Gottes getötet? Hatte er es verdient, jetzt das weiße Gewand dieses schuldlosen Mannes tragen zu dürfen?
Ob der Soldat, der das Gewand Jesu zugelost bekam, sich dieses Privilegs bewusst war, weiß ich nicht. Aber dass jeder, der an den Gekreuzigten glaubt, nun völlig unverdient mit einer weißen Weste vor Gott stehen kann, ist sicher. Und das ist echtes Glück. Gerhard Kautz