Jill Price ist Amerikanerin, eine Frau wie Millionen andere. Was sie jedoch von anderen unterscheidet, ist ihr Gedächtnis. Seit 1974 kann sich Jill an jeden Tag ihres Lebens lückenlos und auf Abruf erinnern. Irgendetwas muss damals, sie war gerade elf Jahre alt, mit ihr passiert sein, niemand weiß, was es war. Seit der Zeit vergisst sie nichts mehr. Alles wird unterschiedslos registriert. Wissenschaftler stehen vor einem Rätsel. Inzwischen hat sie ein Buch über ihre Erfahrungen verfasst. Darin beschreibt sie das, was in ihrem Kopf vorgeht, als eine geteilte Leinwand. Auf der einen Seite läuft ein Film mit den Bildern des Hier und Jetzt, auf der anderen mit der gleichen Intensität, an was sie sich gerade erinnert.
Ist die Frau glücklicher als wir? Manchmal schon, wenn sie an etwas Schönes denkt, oft aber auch nicht, wenn sie sich zum Beispiel an das Sterben ihres Mannes erinnert. Viel öfter beneidet sie Menschen, die vergessen können, denen nicht ständig das ganze Leben nachläuft. Es gibt ein gnädiges Vergessen. Das hat sie nicht. Sie muss die schwere Last eines kompletten Erinnerns tragen.
Auch wir wünschen uns oft zu vergessen und können es nicht. So werden wir manches ein Leben lang nicht los und nehmen es mit ins Grab. Vollkommenes, heilsames, gnädiges Vergessen aber gibt es bei Gott, der dem Sünder vergibt. Wenn er verspricht, nie mehr an unsere Sünden denken zu wollen, dann tut er es. Er tut es gerne, weil sein Sohn die Sünden der Welt gesühnt hat. Und Gott vergisst endgültig, definitiv. Das ist die Grundlage einer herrlichen und unverbrüchlichen Kindschaftsbeziehung zu ihm. Karl-Otto Herhaus