Es war die theologische Sensation des 19. Jahrhunderts. Der älteste vollständige Text des Neuen Testaments (NT) war gefunden worden, aus der Zeit um 300-350 nach Christus, und es war die Krönung eines Forscherlebens. Sofort nach seinem Studium hatte sich der junge Theologe Konstantin von Tischendorf (1815-1874) das Ziel gesetzt, aus dem Vergleich der ältesten Handschriften des NT einen möglichst genauen Grundtext zu erstellen, war doch die Luther-Bibel aus relativ späten Handschriften übersetzt worden. Um noch ältere Handschriften aufzutreiben, reiste er 1844 in den Orient und stieß wirklich im Katharinenkloster im Sinai-Gebirge auf Pergamentblätter, die sehr alt waren. Es bedurfte aber dreier Reisen in das Kloster, bis Tischendorf am 7. Februar 1859, heute vor 150 Jahren, den ganzen Text in den Händen hielt, der von den ungebildeten Mönchen unbeachtet und vergessen war und nun den Namen »Sinaiticus« erhielt. Seine Genauigkeit wurde an vielen Textstellen durch noch ältere Papyrus-Textstellen bestätigt. Der nun von Tischendorf vorgelegte Text des NT gehört bis heute zu den wichtigsten Grundlagen des neutestamentlichen Grundtextes.
Was veranlasste diesen Mann, unter den enormen Reisestrapazen jener Zeit und unter der unvorstellbaren Mühe der Entzifferung jedes einzelnen Buchstabens, einen möglichst genauen Grundtext des NT zu schaffen? Die Bibel war für ihn Gottes lebendiges Wort und Offenbarung seines Heilsangebotes in Jesus Christus an eine verlorene Menschheit. Er selbst wusste sich erlöst durch das Opfer des Gottessohnes am Kreuz. Und um anderen Menschen dieses Wort möglichst genau zugänglich zu machen, war ihm keine Mühe zu groß. Gerhard Jordy