Sanpal Sadhu (Name geändert) kam erst in der 9. Klasse zu uns, strafversetzt aus dem Süden Hamburgs an unsere im nördlichen Bereich der Hansestadt gelegene Schule. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon mehrere Gerichtsverfahren hinter sich. Zur Fülle der aktenkundlichen Eintragungen des 15-jährigen Intensivtäters kam hinzu, dass die Lüge sein ständiger Begleiter war. Selbst seine Mutter warnte mich unter Tränen zweimal: »Glauben Sie meinem Sohn nicht. Er lügt.« Zur Rede gestellt, handelte er durchgängig getreu der Devise: »Ich gebe nur so viel zu, wie Sie mir nachweisen können.« Der Rest waren derart absurde Verdrehungen und Verfälschungen, dass es selbst Münchhausen die Sprache verschlagen hätte.
Die Haltbarkeitsdauer von Sanpals Lügen war allerdings sehr kurz. Meistens retteten seine Unwahrheiten ihn nur für wenige Stunden, bis ihm schließlich tatsächlich das Gegenteil bewiesen werden konnte. Je mehr Folgelügen er sich dann ausdachte, um die Ursprungslüge zu stützen, desto schneller verstrickte er sich in Widersprüche. Die Beine seiner Lügen wurden von Mal zu Mal kürzer und trugen bald gar nicht mehr.
Wie realistisch ist vor diesem Hintergrund Salomos Feststellung, dass die Lüge für »nur einen Augenblick lang« Bestand hat. Ein tragfähiges Konzept ist sie nicht, einmal ganz abgesehen davon, dass Lügen ein Verstoß gegen das 9. Gebot und damit Sünde ist. Ehrlich zu sein hingegen erleichtert die Lebensgestaltung, ist ein gutes Zeugnis, schafft eine solide Vertrauensbasis und ehrt Gott. Die Wahrheit hat – wie Salomo im gleichen Vers festhält – bleibenden Bestand und trägt dadurch auf ihren langen Beinen weit. Martin von der Mühlen