Am Karfreitag war ich mit meiner Frau in der großen Stadtkirche, um die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach zu erleben. Ich liebe diese ausdrucksstarke Musik, den Wechsel von imposantem Donnergrollen und zarter einfühlsamer Violinenbegleitung in den Arien, die Chöre bei den dramatischen Volksszenen und dem Erzählpart des Evangelisten. Doch je mehr das Werk dem Höhepunkt zustrebte, wurde ich mehr und mehr erfasst vom Text, der das schreckliche Geschehen am Kreuz beschreibt, als von der reinen Musik.
Da schrie der Gekreuzigte die unfassliche Not des Herzens hinaus mit den Worten: Mein Gott! Warum? Warum hast du mich verlassen?
Als das Werk zu Ende war, herrschte in dem großen Kirchenraum vollkommene Stille. Kein Räuspern oder gar Klatschen. Einige Minuten der Ergriffenheit, bevor das erste zaghafte Erheben vom Platz und Verlassen der Kirche begann. Wir waren ergriffen von dieser Musik und davon, was Bach mit seiner Passion deutlich machen wollte. Der heilige Gott, in dessen Gegenwart Sünde keinen Platz hat, hat seinen Rettungsplan für verlorene Menschen dort an diesem Kreuz verwirklicht, indem er seinen sündlosen Sohn für unsere Lebensschuld bestraft hat. Und weil Gott gerecht ist, kann er den nicht mehr bestrafen, der sein Schuldpaket bei Jesus abgeliefert hat und bekennt und begreift, dass der Prophet Jesaja Recht hat mit seiner Aussage: »... der Herr ließ ihn treffen unser aller Schuld« (Jesaja 53,6).
Diese Stille empfinde ich immer wieder bei der Erinnerung an Jesu Tod für mich. Dann ist die Bach-Musik mehr als ein Kunstgenuss. Es ist das »Danke« an den großen Gott, der mich so liebt. Eberhard Liebald