Sie war nicht die Einzige in unserer Familie, die mit Vergesslichkeit zu kämpfen hatte, aber genug war genug: Nachdem sie mehrmals hintereinander ihre Jacke in der Schule vergessen hatte, waren wir wirklich sauer. »Noch einmal, und wir werden uns eine Strafe überlegen müssen!«, hatte sie sich am Morgen noch anhören müssen. Nun saß sie im Bus auf dem Weg nach Hause und stellte mit Erschrecken fest, dass es schon wieder passiert war. Ihre Jacke war in der Schule geblieben! Aus Verzweiflung fing sie an zu weinen, sodass der Fahrer des Schulbusses weich wurde, umdrehte und zurück zur Schule fuhr.
Haben wir uns nicht alle als Kinder so einen Busfahrer gewünscht? Einen, der die 99 warten lässt, um dem einen zu helfen. Aber angenommen, unsere Tochter hätte in einem Zug gesessen. Dann hätte sie wohl umsonst geweint, denn der Lokführer ist für den normalen Fahrgast unerreichbar - und außerdem könnte er ohnehin nicht umdrehen. Mir scheint, dass unsere Gottesvorstellung oft eher dem eines Lokführers entspricht: Gott scheint so unerreichbar, und was ändert es am Lauf der Dinge, wenn wir zu ihm schreien? So kommt es, dass wir oft nicht viel vom Gebet erwarten. Manchmal verkommt es gar zu einem leidenschaftslosen Ritual, das nur verrichtet wird, um eine religiöse Pflicht abzuleisten. Doch eines habe ich mittlerweile verstanden: Gott ist kein Lokführer! Er ist der freundlichste »Busfahrer«, den man sich vorstellen kann. Ja, mehr noch, er ist - so sagt es Jesus - der gute Hirte, der einzelne Schafe sucht, »bis er sie endlich auf seinen Schultern nach Hause tragen kann.« Ist das nicht wunderbar?
Andreas Fett