Es gibt Dinge, die wir nicht mehr hinterfragen, weil wir uns so sehr an sie gewöhnt haben. Oder erwarten Sie ernsthaft etwas anderes, als dass jeden Morgen die Sonne aufgeht? Und so gehen wir selbstverständlich davon aus und erleben immer wieder, dass es alle 24 Stunden wieder taghell wird. Sogar unser Körper ist mit einem Biorhythmus ausgestattet, der sich nach bestimmten Zeiten richtet, z. B. auch nach dem Tageslicht.
Nicht viel anders ist das mit unserer Welt der Gedanken und Gefühle. Auch hier stellen wir uns darauf ein, dass es feste Grundlagen gibt für einen gesunden Geist, der Ordnung in unserem Leben schafft und sie auch aufrechterhält. Nicht erst seit der Aufklärung läuft kontinuierlich ein Integrationsprozess ab, bei dem neue Informationen unser Weltbild ständig erweitern und plausibler - oder manchmal (zunächst) auch rätselhafter machen. Werden wir jemals auf alle Fragen eine Antwort finden? Auch die Wissenschaft stößt an Grenzen und kann uns längst nicht alle Informationen beschaffen und Fragen beantworten: Wo kommen wir her? Was war vor dem Urknall? Gibt es einen Gott? Was passiert nach dem Tod?
Trotzdem begegnet uns heute das Phänomen der Wissenschaftsgläubigkeit, d.h. der Entscheidung, darauf zu vertrauen, dass uns die Wissenschaft irgendwann alle Antworten geben wird. Daraus ist ein allgemeines Lebensgefühl entstanden, das zu unserem Denken wie selbstverständlich dazugehört und in dem sich fast alle ziemlich heimisch fühlen. Wer sich aber allein darauf verlässt, für den werden fatalerweise in seinem vergleichsweise kurzen Leben wichtige Antworten offenbleiben müssen. Sein Weltbild ist dann möglicherweise ein Trugbild, weil wichtige Informationen gar nicht darin berücksichtigt sind.
Joachim Pletsch