Heute saß ich beim Kinderarzt im Wartezimmer und kam mit einer Oma ins Gespräch, die mit ihrer anderthalbjährigen Enkelin zu einer Untersuchung gekommen war. Die Frau sagte, wie glücklich sie über ihr Enkelkind sei, weil die Eltern lange auf Nachwuchs warten mussten und alle froh waren, als es schließlich doch noch klappte. Und sie sei so dankbar, dass sie als Rentnerin die Zeit hätte, mit dem Kind zum Arzt zu gehen. Ihre Schwiegertochter würde leider viel in ihrem Studio arbeiten und könnte sich nur wenig um das Kind kümmern. Zum Glück käme es aber schon bald in eine Kita.
Nach diesem Gespräch machte ich mir im Stillen so meine Gedanken. Warum gibt man so früh das Kind ab, das man sich jahrelang gewünscht hat? Warum fällt es einer Mutter so schwer, auf anderes zu verzichten, um Zeit für das ersehnte Kind zu haben? Wie kurz sind doch die Jahre, die wir ohnehin nur mit unseren Kindern haben! Werden wir es später nicht bereuen, wenn wir zurückschauen und realisieren, dass unsere Kinder viel mehr Zeit mit Erziehern und Sozialpädagogen verbracht haben als mit ihren Eltern? Die kostbare Zeit, wenn unsere Kinder klein sind, lässt sich nie mehr zurückholen. Wofür verwenden wir sie? Wie gestalten wir sie?
Bindung braucht Zeit, denn kleine Kinder kennen keine »quality time«. Eine enge Beziehung wird niemals entstehen, wenn man sich nur abends sieht. Und gerade wir Eltern werden später traurig sein, wenn diese Beziehung fehlt. Denn wenn wir einmal alt sind, werden wir uns auch wünschen, dass sich unsere Kinder Zeit für uns nehmen. Doch werden sie das tun, wenn wir keine Zeit für sie hatten? Das Prinzip von Saat und Ernte gilt auch hier. Anna Schulz