Wenn du ihn bitten wirst, wird er dich hören, und du wirst deine Gelübde erfüllen.
Hiob 22,27
Damit begannen für mich die längsten und hoffnungslosesten Minuten und Stunden meines Lebens. Neben mir der schwer Verwundete und - wie ich bald sah - sterbende Kamerad, draußen der Kampfeslärm und im Himmel vielleicht ein Gott, den ich aber oft abgewiesen hatte und mit dessen Hilfe ich nun in Todesangst kaum rechnen konnte - falls es ihn überhaupt gab!
Zunächst war ich mit dem Sterbenden beschäftigt. Sein Stöhnen stach mir ins Herz hinein. Er hatte sein Leben für mich gewagt und war nun dabei, es zu verlieren. Noch nicht einmal Trost konnte ich ihm zusprechen, denn ich hatte selbst keinen. Darum empfand ich es fast als Erlösung, als nach etwa einer halben Stunde sein Stöhnen leiser wurde und er zuletzt noch die Adresse seiner Mutter in Berlin flüsterte. Dann war es still. Mein Kamerad Adolf Nickel starb für mich. Ich war allein.
In diesen Stunden zog mein Leben an mir vorüber, und ich erkannte zum ersten Mal, wie inhaltslos, sinnlos und ziellos es war. Doch Gott, an den ich schon nicht mehr glaubte, begann wieder mit mir zu reden. Mein Gewissen wurde lebendig, ich erkannte die vielen versäumten Gelegenheiten, bei denen ich zu Gott hätte umkehren können, und hatte nur noch den einen Wunsch, dass ich noch eine Chance bekäme. Doch die stand bei 1:100. Jeden Moment musste ich damit rechnen, dass russische Soldaten die Treppe herunterkämen. Für diesen Fall hatte ich mir eine Handgranate bereitgelegt, mit der ich mein Leben beenden wollte.
In dieser verzweifelten Situation betete ich zu Gott: »Herr, wenn es dich gibt, und du mich aus dieser aussichtslosen Lage rettest und ich aus diesem Krieg wieder heimkomme, dann will ich mich zu dir bekehren und mein Leben soll dir gehören. Ich will dir dienen mit den Gaben, die du mir gibst!«
Günter Seibert