Aus verschiedenen Gründen zog sich die Entschlüsselung und nur teilweise Veröffentlichung der Textfragmente von Qumran so sehr in die Länge, dass es schließlich zu Verschwörungstheorien kam. Am bekanntesten wurde der Bestseller von Michael Baigent und Richard Leigh »Verschlusssache Jesus« (1991), in dem sie zwischen den so genannten »Qumran-Essenern« und den Urchristen eine enge Verbindung bis hin zur möglichen Identität herstellten. Jakobus wurde z. B. als »Lehrer der Gerechtigkeit« und Paulus als der »Mann der Lüge« identifiziert, ein Gegensatz, der in einer der Sektengemeinschaft zugeschriebenen Rolle gezeichnet wird. Diese »Enthüllungen« waren als Speerspitze gegen den Vatikan gerichtet, der angeblich die Veröffentlichung behinderte, weil die Texte brisantes Material enthielten, das den christlichen Glauben in seinen Grundfesten erschüttern würde.
Obwohl sich diese Behauptungen als abwegig herausgestellt haben, weisen sie trotzdem auf ein Phänomen hin, das man immer wieder beobachten kann. Der Anspruch des christlichen Glaubens auf die Wahrheit ist vielen »Modernen« ein Ärgernis. Das hat allzu oft schon Einfluss auf die Erforschung von Altertümern genommen. So boten die Funde von Qumran die Möglichkeit, ein Kapitel der Vergangenheit aufzuschlagen, zu dem außer der Bibel nur wenige Quellen erhalten geblieben sind. Damit verband sich die Hoffnung, mehr Licht auch über die Anfänge des Christentums zu bekommen. Bei manchen war die Erwartung groß, nun endlich feststellen zu können, dass doch alles ganz anders gewesen sei, als es uns durch das Neue Testament überliefert wurde. So etwas mündet dann leicht in den Versuch, den christlichen Glauben kleinzumachen, um anderes mindestens gleichwertig danebenstellen zu können.
Joachim Pletsch