Jesu Augen füllten sich mit Tränen.
Johannes 11,35
Wenn mir als Kind Unrecht oder Gemeinheiten widerfahren sind, liefen die Tränen oft erst, wenn ich zu Hause in den tröstenden Armen meiner Mutter angekommen war. Dann erzählte ich ihr schluchzend, wie gemein die anderen Kinder zu mir gewesen waren.
Weinen ist sehr vielschichtig und manchmal kann man erst weinen, wenn jemand da ist, der tröstet. Weinen ist auch bei Erwachsenen ein Ausdruck starker Emotionen. Es gehört zum Menschsein dazu. Wenn die Freude »überschwappt« und einfaches Lachen nicht mehr ausreicht, sind Freudentränen das Ergebnis. Weinen wir aber aus Trauer oder Schmerz, kehren wir unsere belastenden Gefühle nach außen und zeigen unsere Verletzlichkeit. Mancher weint nur im stillen Kämmerlein, ein anderer ist »nah am Wasser gebaut«. Dabei will niemand als Heulsuse dastehen, aber auch nicht als kalt und ausdruckslos gelten. Jeder mag selbst entscheiden, ob Weinen ein Zeichen von Schwäche oder eher von Stärke ist. Eins ist sicher: Weinen reinigt die Seele. Und: Jemand, der mitfühlen und mitweinen kann, ist ein guter Tröster.
Die Götter der Religionen sind stolz, erhaben und unnahbar - unvorstellbar, dass sie jemals weinen könnten. Bei Jesus ist das anders. Er ist der einzige Gott, der Mensch wurde. Er ist der einzige Gott, der Mitgefühl zeigt. Er ist der einzige Gott, der weint. Er kam aus der Herrlichkeit demütig zu uns Menschen herab, um mit uns zu fühlen, zu weinen und zu leiden, aber sich auch mit uns zu freuen. Nur er, der selbst geweint hat, kann unser Leid und unsere Schmerzen verstehen. Er kann uns trösten und wieder neuen Mut zum Weitergehen schenken. Deshalb komme ich mit meiner Trauer und meinen Enttäuschungen immer wieder zu Jesus, so wie früher zu meiner Mutter.
Daniela Bernhard