Vor Kurzem sagte eine 85-jährige Dame zu mir: »Ich kann das nicht glauben. Schau mal, ich habe 6 Kinder großgezogen, habe immer getan, was gut und rechtens ist, und war ein guter Christ. Es gibt Leute, die sind wirklich böse, aber ich eigentlich nicht. Sicher, du hast recht, ich war mal neidisch, nicht liebevoll zu meinem Ehemann oder zu meinen Kindern. Aber große Sünden habe ich nicht getan. Ich habe keinen Menschen ermordet, nichts geklaut; eigentlich erwarte ich, dass Gott mich gerne in seinen Himmel lässt. Wenn nicht mich, wen denn dann?« Sie meinte das wirklich aufrichtig. Sie konnte nicht glauben, dass solche »Kleinigkeiten« wie Neid oder Streit die Himmelstür verschließen. Und sie kämpfte wochenlang damit. Ist Gott wirklich so kleinlich? Sollten alle ihre guten Taten vor Gott nicht gelten?
Gott ist nicht kleinlich, aber gerecht. Gott unterscheidet für den Zugang zum Himmel auch nicht zwischen großen und kleinen Sünden. Aber er verharmlost auch nichts, weder bei den großen noch bei den kleinen Leuten. Gott sei Dank nicht. Doch wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sein Urteil über unsere Taten anders lautet als unseres. Die gute Frau hatte niemand ermordet, doch Jesus sagt: »Jeder, der seinem Bruder ohne Grund zürnt, wird dem Gericht verfallen sein; wer aber irgend sagt: Du Narr!, wird der Hölle des Feuers verfallen sein« (Matthäus 5,22). Und das anzuerkennen, fällt uns meist schwer.
Wir sollten darum aber nicht den Mut verlieren, sondern auch beten: »Ich glaube (ich erkenne dein Urteil, deine Maßstäbe, dein Wort über mich an), hilf meinem Unglauben (meinen Zweifeln, meinem Unverständnis)!« Gott wird dieses Gebet sicherlich hören.
Peter Lüling