»Oma, warum liest du immer nur in der Bibel? Gibt es nicht viele andere schöne Bücher?«, fragte der zehnjährige Enkel, als er die alte Frau wie jeden Tag in ihrer dicken Bibel lesen sah. Er kannte das ja und wusste auch, dass sie oft versucht hatte, ihm ein wenig daraus vorzulesen oder ihm diese oder jene Geschichte zu erzählen. Manches fand er auch ganz interessant, etwa die Geschichte von Mose oder von David, wie er den Riesen Goliath mit seiner Steinschleuder besiegt hat. Und auch aus dem Neuen Testament kannte er so einiges; aber es gab doch so viel anderes, Abenteuerbücher, Mickymaus und Fußballmagazine.
»Ja«, sagte sie nach einer Weile, »das andere habe ich auch gelesen, aber eines Tages hat mir Gott gezeigt, dass er eine Rechnung mit uns Menschen offen hat und dass er einmal Rechenschaft über alles fordern wird, was ihm an uns nicht gefallen hat. Und da habe ich in diesem Buch die Lösung für dieses Problem gefunden, und darum freue ich mich so sehr darüber, dass ich nicht genug darin lesen kann.«
»Du meinst also, wenn man gern in der Bibel liest, dann tut man das, weil man weiß, dass Gott nicht mehr böse über einen ist?« »Genau! Alle anderen hören bald auf mit dem Bibellesen, auch wenn sie es sich fest vorgenommen haben. So weit weg von Gott sind die Menschen leider.«
Der Junge sagte nichts mehr, aber jetzt war ihm gar nicht mehr so wohl zumute. Hatte er denn Lust zum Bibellesen? Und was bedeutete es dann für ihn?
Hermann Grabe