Mein Sohn Mathis hat gerade das Fahrradfahren gelernt. An einem Samstag gehen wir gemeinsam nach draußen: Mathis mit seinem kleinen roten Fahrrad und ich. Er setzt sich darauf und startet einige Versuche. Ich laufe hinterher und halte ihn fest. Und siehe da: Es klappt! Nach einigen Versuchen kann ich loslassen, und Mathis macht seine ersten »Gehversuche« - alleine auf dem Rad! Die Mama schaut aus dem Fenster zu. Alle freuen sich, und noch am selben Tag landet ein Video von Mathis auf dem Fahrrad in der Familien-Whatsapp-Gruppe.
Auch seine vier Jahre ältere Schwester ist mit uns draußen. Sie hat bereits einige Jahre »Fahrrad-Erfahrung« auf dem Buckel. Dann ereignet sich Folgendes: Mathis sagt zu seiner älteren Schwester: »Ich kann besser Fahrrad fahren als du!« Bitte? Mathis ist vor wenigen Minuten zum ersten Mal alleine gefahren. Bei der leichten Steigung auf dem Weg, den wir fahren, muss ich noch nachhelfen. Auch das Losfahren klappt noch nicht alleine ... All das hält Mathis nicht davon ab, es großspurig mit seiner Schwester aufzunehmen.
Was für den Moment amüsant klingt, zeigt eher eines unserer Grundprobleme: der Hang zur Selbstüberschätzung! Immer wieder lässt sich dieses Phänomen beobachten. Der Grad zwischen »Selbstbewusstsein« und »Selbstüberschätzung« scheint ziemlich schmal zu sein. Was als »sicheres Auftreten« verkauft wird, ist manchmal pure »Großspurigkeit«.
Inzwischen hat Mathis den einen oder anderen kleinen Unfall mit dem Fahrrad hinter sich, selbstverständlich - und es gab auch mal Tränen. Eine kleine Portion Bescheidenheit würde ihm guttun. Und mir auch! Bin ich nicht oft genauso großspurig wie der kleine Mathis? Willi Dück