Am 15. Juli 1963 formulierte Egon Bahr Überlegungen zu einer neuen deutschen Ostpolitik - »Wandel durch Annäherung«. Damals war Deutschland geteilt, und der Westen und der Ostblock standen sich im Kalten Krieg gegenüber. Nur wenige rechneten damit, eine Wiedervereinigung noch zu erleben. Die Deutschen hatten sich abgewöhnt, davon zu träumen. Man hatte sich eben mit der Teilung abgefunden.
Egon Bahr, ein enger Vertrauter von Willy Brandt, konnte das nicht. Er suchte nach Wegen, den Stillstand in der deutschen Frage zu beenden. Seine Überlegung war: Wenn die westliche Politik nur zu erstarrten Verhältnissen geführt hatte, sollte man es dann nicht mal mit einer anderen, beweglicheren Politik zu versuchen?
Über diese Politik des »Wandels durch Annäherung« wurde viel gestritten, denn sie barg eine Menge Risiken. Einen neuen politischen Entwurf zu entwickeln und ihn in die Tat umzusetzen, dazu gehört Mut und Vertrauen in die Schlüssigkeit der eigenen Ideen. Das war schon was.
Man kann daran eine Tugend beschreiben, die eher bei Christen als bei Politikern zu vermuten ist, die Tugend des Glaubens. Der ist eben in der Substanz eine »Verwirklichung dessen, was man hofft«. Der Hebräerbrief nennt Menschen aus der Geschichte Israels, die deutlich machten, was gemeint ist. Allen ist gemeinsam, dass sie aus ihrer Überzeugung heraus, aus Glauben, Entscheidungen fällten, die ihr Leben bestimmten. Sie handelten aus Glauben. Sie bastelten nicht selbstverliebt an ihrem Gefühlshaushalt herum, sondern unterstellten ihr Handeln ihrem Glauben an das, was Gott ihnen verheißen hatte. Das machte sie zu Vorbildern auch für uns heute. Karl-Otto Herhaus