Als sie in die U-Bahn stolperte, wollte ich schon weggucken. Sie war alt und sie hatte wirklich schäbige Klamotten an, mit denen sie sich vor der schneidenden Kälte zu schützen suchte. Sie steuerte auf den nächstliegenden Sitzplatz zu, die Schultern wegen der Kälte hochgezogen und die Augen auf den Boden gesenkt. Um ihre weißen, zerfurchten und knochigen Hände hatte sie die Enden eines schmuddeligen Schals gewickelt, den sie fest um ihre Schultern geschlungen hatte. Ich beobachtete sie und ihre Elendsgestalt erweckte Mitleid bei mir. An der nächsten Haltestelle stieg ein junger Mann zu. Seine Wangen waren durch die Kälte rot gefärbt, seine Kleider elegant und seine Haare gepflegt. Seine Bewegungen hatten Stil, anscheinend war er aus gutem Hause. Auch er sah das stille Elend der alten Frau. Drei Haltestellen weiter hielt der Zug. Der junge Mann glitt an der alten Frau vorüber, stieg aus und verschwand im Fußgängertunnel. Auf dem Schoß der alten Frau lagen die braunen Lederhandschuhe des jungen Mannes.
Ich weiß nicht, ob er ein gläubiger Christ war, aber eins ist klar: Er sah ihre Not und reagierte nicht nur mit Mitgefühl. Er handelte auch. Zu keiner Zeit war mir der Gedanke gekommen, meine Handschuhe weg zu geben. Dieser junge Mann zeigte seine Barmherzigkeit in einer Art und Weise, die ich nie vergessen werde. Es erinnerte mich an das Mitgefühl, das den Herrn Jesus in unserem Bibelvers bewegt hatte, die zwei blinden Männer in der Nähe Jerichos zu heilen, und das ihn schließlich dazu brachte, sein Leben am Kreuz von Golgatha zu geben. Wir wollen seinem Beispiel folgen und Bedürftigen Hoffnung geben. Rudi Joas