Mit hängenden Schultern sitzt sie vor mir. Vor etwa einem Jahr hatten wir sie kennen gelernt und in unsere Familie aufgenommen. Als Kind nicht gewollt, abgeschoben, missbraucht, geschlagen, von einem Heim zum anderen gewechselt. Abgebrochene Schule, abgebrochene Lehre, Drogen, Alkohol, mehrere Selbstmordversuche, dann auf der Straße, ihre wenigen Habseligkeiten in einem Schließfach am Bahnhof. Stationen eines jungen Lebens ohne Perspektive, ohne Hoffnung und Ziel.
Dann hört sie zum ersten Mal, dass es einen gibt, der sie liebt, der Schuld vergibt, der Hoffnung schenkt. Und sie ergreift die helfende Hand, vertraut sich Jesus Christus an. Ihr Leben verändert sich radikal, ein lebendiges Zeugnis für die verändernde Kraft des Evangeliums. Doch jetzt sitzt sie vor mir. Ein Häufchen Elend. Was ist geschehen? Wo ist die überschäumende Freude des neuen Lebens geblieben?
Endlich bricht es aus ihr heraus: »Ich schaff es nicht. Es ist zum Verzweifeln! Ich versage ständig. Kleinste Erfolge im Leben als Christ werden von großen Misserfolgen gleich im Keim erstickt. Ich mache nur gute Vorsätze – aber anscheinend sind meine alten Gewohnheiten stärker.« Wir lesen den Bibelabschnitt, dem unser Tagesvers entnommen ist. »Ja«, sagt sie, »Das bin ich! Ich elender Mensch, wer wird mich retten von diesem Leib des Todes?« »Ja wer?«, frage ich sie. Sie schaut mich erstaunt an. Plötzlich huscht ein Hoffnungsschimmer über ihr Gesicht. Sie schaut mich noch einmal fragend an und es wird ihr zur frohen Gewissheit. Sie faltet ihre Hände: »Herr Jesus, bitte vergib, dass ich dich aus den Augen verloren habe!« Eberhard Platte