An einer gefährlichen Küste, die schon vielen Schiffen zum Verhängnis geworden war, befand sich eine kleine, armselige Rettungsstation. Sie war nicht mehr als eine Hütte, und dazu gehörte nur ein einziges Boot. Einige Freiwillige versahen unentwegt ihren Wachdienst und wagten sich tags wie nachts ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben hinaus, um Schiffbrüchige zu bergen. Dank diesem kleinen Stützpunkt wurden viele Menschen gerettet, sodass er bald überall bekannt wurde. Manche der Geretteten und andere aus der Umgebung bauten nun die Station zu einem komfortablen Hotel aus, das gerne besucht wurde. Überall an den Wänden hingen tolle Ölgemälde, die verwegene Rettungsfahrten zeigten; aber es wurde immer schwieriger, Männer für den aktuellen Rettungsdienst zu gewinnen. Alle wollten sich der heldenhaften Väter rühmen, dabei aber behaglich am Kamin bei einer guten Flasche Wein sitzen.
Ist es dem Christentum nicht ähnlich ergangen? Erst war es klein und verachtet; aber es hat vielen Menschen zum ewigen Leben verholfen. Dann wuchs sein Ansehen, und nicht nur wagemutige Retter gehörten dazu, sondern immer mehr Genießer und fantasievolle Schwätzer. Viele Besucher lachen heute sogar über den Rettungseifer früherer Generationen und finden deren Ansichten überspannt. Derweilen zerschellen viele Schiffe, und niemand kümmert sich um die Ertrinkenden.
Zum Glück hat Gott an anderen Orten erneut Leuten die Augen für die Not der Menschen geöffnet, sodass sie wieder aktiv einsetzbare Rettungsstationen aufgebaut haben. Um der Schiffbrüchigen willen wollen wir hoffen, dass man dort nicht genauso »einschläft«, wie eingangs geschildert. Hans-Peter Grabe