In einer orientalischen Geschichte wird von einer armen Witwe erzählt, die zum Sultan kam, um ihn zu bitten, den Verlust ihres Eigentums zu ersetzen. »Wie bist du um deinen Besitz gekommen?«, fragte der Herrscher. »Ich war eingeschlafen, da kam ein Einbrecher und hat alles geraubt«, antwortete sie. »Wie konntest du so unachtsam sein und einschlafen?«, fuhr sie der Sultan scharf an. »Ich schlief ein, weil ich dachte, dass du über mir wachst«, erwiderte sie. Diese Antwort gefiel dem Sultan so gut, dass er anordnete, der armen Frau alles Gestohlene zu ersetzen.
Was in dieser Geschichte nur einer einfältigen Überschätzung des Herrschers oder aber kluger Schmeichelei entsprungen sein konnte, das ist große und Heil bringende Wahrheit, wenn man sie auf Gott bezieht. Er schläft tatsächlich nie. Seine Augen fallen niemals wegen Übermüdung zu, und er hat auf alle Menschen Acht, besonders aber auf solche, die ihr Vertrauen auf ihn setzen.
Das braucht nicht zu heißen, dass es den so besonders Bewachten zu aller Zeit besonders gut gehen müsste. Gott hat nämlich höhere Ziele mit seinen Leuten, als ihnen ein vordergründiges Schlaraffenland zu gewähren. Er weiß, was sie an Bewahrung und Zuwendung, aber auch an Erziehung brauchen, um immer mehr dem Ziel zu entsprechen, das Gott mit ihnen hat. Sie sollen nämlich dem Sohn Gottes immer ähnlicher werden. Was dazu nötig ist, können wir hier oftmals nicht erkennen. In der großen Ewigkeit aber wird es offenbar werden. Da werden wir sehen, wovor uns Gott im Durcheinander unserer Tage behütete und wie er uns vor vielen Übeln und Sünden bewahrt hat.
Hermann Grabe