In Gillhoffs »Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer« steht: »Eine Mutter sucht ihrer Kinder Bestes und findet es auch.« Warum wohl? Sie liebt ihre Kinder und sucht darum immer deren Bestes. Das heißt nicht nur, dass sie für sie tut, was sie kann, sondern ebenso, dass sie alles Böse, alle Übertretungen ihrer Kinder, soweit es geht, zudeckt. Das geschieht am effektivsten, indem man niemals darüber spricht. Allerdings gehen manche Mütter auch soweit, dass sie offenbare Fehler und Bosheiten ihrer Kinder kleinreden und die Schuld auf andere abwälzen möchten. Das ist dann aber nicht Liebe zu den Kindern, sondern vor allem Eigenliebe, um sich selbst zu schützen. Davon redet unser Tagesvers nicht.
Wir alle sind dazu aufgerufen, unseren Nächsten zu lieben, was wir auch gern von uns behaupten. Ob es aber stimmt, können wir sehr schnell herausfinden, wenn wir Jürnjakob Swehns These auf uns anwenden. Suchen wir das Wohl unserer Nächsten? Das wird schnell daran deutlich, wie wir über sie sprechen. Stimmen wir in das böse Gerede über sie ein und tragen wir dadurch zur Erregung von Zwietracht bei, so kann bei uns von Liebe keine Rede sein. Ja, aber wenn das doch solch ein übler Mensch ist, was dann?
Ich habe herausgefunden, dass man eine ganz andere Einstellung zu einem Menschen gewinnt, wenn man anfängt, ernsthaft für ihn zu beten. Dann kann und mag man nicht mehr über ihn herziehen. Ich denke, dass damit das Lieben anfängt. Indem ich aber für ihn bete, trete ich vor das Angesicht dessen, der mir selbst durch seine Liebe so viel Schuld vergeben hat. Das verschließt mir vollends den Mund, wenn ich etwas Schlechtes weitersagen möchte.
Hermann Grabe