Es war im Jahr 1631. Damals, im 30-jährigen Krieg, belagerten katholische Truppen das protestantische Rothenburg. Durch den heftigen Beschuss explodierte ein Pulverturm, und eine Bresche klaffte in der Stadtmauer. Eilig wurde die Fahne der Kapitulation gehisst. General Tilly, Befehlshaber der Angreifer, marschierte in die reiche Stadt ein und drohte mit der Plünderung. Aus einer Laune heraus machte er jedoch den bizarren Vorschlag: »Die Stadt wird verschont, wenn ein Ratsherr einen Kelch, gefüllt mit 13 Schoppen Wein (3¼ Liter) in einem Zug leeren kann.« Altbürgermeister Nusch stellte sich zur Verfügung. Er setzte den Pokal an seine Lippen, stürzte atemlos den Wein hinunter und rettete damit seine Stadt. Wie ihm der Trunk bekam, ist nicht überliefert. Doch noch heute feiern die Rothenburger jedes Jahr diese Meisterleistung mit einem Festspiel.
Als ich in Rothenburg vor jenem Ratssaal stand, wurde ich an den Obersaal des Evangeliums erinnert. Dort feierte Jesus mit seinen Jüngern ein letztes Abendessen. Dabei sprach er von dem »Kelch«, der einen »neuen Bund in seinem Blut« beinhalte. Etwas später betete er: »Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst« (Matthäus 26,39.42). Schließlich finden wir seinen Ausspruch: »Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?« (Johannes 18,11). Für Jesus war es »der Kelch des Weins des Grimmes des Zornes Gottes« (Offenbarung 16,19). Er hat ihn ebenfalls zu unserer Rettung ganz geleert. Aber bei ihm ging es nicht nur um eine Plünderung, sondern um die Errettung vom ewigen Verderben.
Andreas Fett