Er war neu an unsere Schule gekommen. Kein Musterschüler, aber freundlich und in jeder Beziehung großzügig. Dann kam die Sportstunde. Wir spielten Handball, d. h. wir wollten es; denn eigentlich spielte nur einer. Blitzschnell hatte Ewald den Ball erobert, warf ihn über den ersten Angreifer hinweg, umlief den nächsten Gegner und so weiter, bis er vor dem Tor stand, wo es auch nichts mehr zu halten gab. So ging es das ganze Spiel über. Aber nur dies eine Mal. Danach schien es, als könne er kaum besser spielen als einer von uns. Sicher hatte der Lehrer mit ihm gesprochen, aber es war trotzdem eine großartige Haltung von Ewald, dass er sich im Bewusstsein seiner Stärke freiwillig zurücknehmen konnte. Er war doch erst fünfzehn Jahre alt!
Wie schwer tun wir uns als Erwachsene doch damit, anderen einen Vorteil zu gönnen, den wir ergattern können. Wie oft meinen wir, es müsse jeder wissen, wer hier der Klügste, Erfahrenste, am weitesten Gereiste und Ideenreichste ist. Anstatt den »Mauerblümchen« in unserem Bekanntenkreis Mut zu machen, spreizen wir wie ein Pfau unsere Federn und rühmen uns unserer Erfolge, und wir benutzen unsere Überlegenheit und Durchsetzungskraft, um andere an die Wand zu drücken, sei es in der Diskussion oder im Geschäft.
Als Christen haben wir einen Lehrer, der uns etwas anderes zeigt. Er will uns helfen, dass wir uns gern zurücknehmen können, so wie er es getan hat; denn er hat gesagt: »Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig« (Matthäus 11,29). Er hat versprochen, dass diese Haltung auf keinen Fall unbelohnt bleiben wird.
Hermann Grabe