Am 20. April 1945 wurde Norbert, mein kleiner Bruder, vier Jahre alt. Morgens nach dem Aufstehen sah er gleich aus dem Fenster und war ganz enttäuscht, weil draußen keine Fahnen flatterten. »Mutti, heute habe ich doch Geburtstag, oder?«, fragte er ganz aufgeregt. »Gewiss mein Kleiner«, sagte Mutter. »Sieh doch, hier ist dein Geburtstagstisch.« »Aber warum sind denn heute keine Fahnen draußen?«, wollte Norbert wissen. Mutter musste über die Spätfolgen ihrer früheren Schwindelei lachen. Hatte sie doch dem Kleinen jahrelang erzählt, dass die zahlreichen Hakenkreuzfahnen draußen hingen, weil er Geburtstag hatte. Den Führer, zu dessen Geburtstag alle Jahre wieder am 20. April geflaggt wurde, erwähnte sie nicht. Dass an diesem Tag nun keine Fahnen mehr flatterten, war ein deutliches Zeichen für das baldige Kriegsende. Genau zehn Tage später hörten wir im Radio: »Der Führer Adolf Hitler ist im aufopfernden Kampf für das Großdeutsche Reich in Berlin gefallen.« In Wirklichkeit hatte er Selbstmord begangen. Kurz danach, Anfang Mai, hörten wir dann von der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Der Krieg war aus und vorbei!
Für mich war das Kriegsende ein doppeltes Glück, denn spätestens im August hätte ich zur Hitlerjugend gemusst. Etwa neunzig Prozent aller 10-jährigen deutschen Knaben folgten diesem Ruf, die dann als »Pimpfe« des Jungvolks alljährlich am 20. April dem Führer zum Geburtstag als symbolisches Geschenk übergeben wurden. Heute freue ich mich auf den Tag, an dem Gott aller Welt zeigen wird, dass ich sein Eigentum bin. Geworden bin ich es, als ich Jesus als meinen Retter angenommen habe. Karl-Heinz Gries