In Scharen waren die Menschen dem jungen Prediger nachgelaufen. Er behauptete, Gottes Sohn zu sein, und war doch Mensch! Er hatte Erstaunliches getan: Kranke geheilt, sogar Tote lebendig gemacht. Kein Wunder, dass die Menschen ihm nachliefen. Den Angehörigen der herrschenden Elite war er darum ein Dorn im Auge. Sie ruhten nicht eher, bis sie es schafften, ihn zum Tode verurteilen zu lassen. Während er am Kreuz hing, verhöhnten und verspotteten sie ihn. Auch das Volk belustigte sich jetzt mit den Oberen an seinem Elend. Die Menschen zerrissen sich das Maul über den, der Mensch und Gott war.
Um die Mittagszeit wurde es plötzlich dunkel, tiefe Finsternis! Schlagartig verstummte aller Spott, alles Lästern, es wurde still. Als Gott das Gericht für die Schuld der Menschheit über den einzigen vollkommen gerechten Menschen, der je auf dieser Erde war, brachte, verstummte das vollmundige Höhnen. Kaltes Erschrecken ließ alle den Atem anhalten. Der einem Volksfest ähnelnde Tumult war zu Ende. Fast drei Stunden lang beklemmende Stille! Erst der Klageschrei des Gekreuzigten »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« löste die Erstarrung, und der Ruf »Es ist vollbracht« lichtete das Dunkel. Der Spott blieb stumm. Nur ein Soldat machte seinem Erstaunen über das Erlebte Luft: »Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!«
Berührt uns all das noch? Was damals so bewegend und eindrucksvoll geschah, betrifft uns heute genauso. Denn es ging auch um unsere Sünde. Welche Gedanken kamen den Beteiligten wohl in den drei Stunden der Finsternis? Wäre es nicht dran, sich einmal Zeit zu nehmen und darüber nachzudenken, was damals geschah? Vielleicht kommt es dann auch zur heilsamen Erkenntnis: »Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!«
Gerhard Kimmich