Einmal besuchte ich eine Frau im Altersheim. Bei früheren Besuchen hatte sie mich trotz ihrer hochgradigen Demenz noch immer erkannt; aber nun hatte sie nur noch völlig leere Blicke, und sie erkannte gar nichts mehr. Ich versuchte, ihr irgendetwas zu sagen, aber ich merkte, dass sie nichts mehr wahrnahm. Doch plötzlich veränderte sich ihre Haltung. Sie blickte mich an und sagte so verständlich wie in normalen Tagen: »Entweder ich werde wieder gesund, oder ich geh zum Heiland.« Voller Freude sah ich sie an; aber schon wieder blickte ich in Augen, die ins Nirgendwo starrten und nichts mehr erkannten. Es waren wohl die letzten vernünftigen Worte, die sie in diesem Leben sagte, denn bald danach ging sie »zum Heiland«.
Sie hatte sich in jungen Jahren zu Jesus bekehrt. Manch widrige Umstände und falsche Entscheidungen hatten sie nicht davon abgehalten, jeden Sonntag zu den Gottesdiensten zu erscheinen. Nun war sie alt geworden, ihre körperlichen und geistigen Kräfte schwanden dahin, und sie war völlig auf die Fürsorge der Pflegekräfte in jenem Heim angewiesen. Über ihr Verhältnis zum Glauben hätte sie wohl kaum noch etwas äußern können. Da schenkte ihr Gott in einem sekundenkurzen Augenblick, den oben zitierten Satz zu sagen. Für diesen winzigen Moment wurde noch einmal deutlich, in welcher Beziehung sie zu Jesus stand. Er war der, zu dem sie unterwegs war. Daran vermochte auch ihre hochgradige Demenz nichts mehr zu ändern, denn es war Gott, der sie hielt und zu sich brachte.
Für uns alle kommt der Augenblick, an dem wir Abschied von dieser Welt nehmen müssen. Was werden unsere letzten Worte oder Gedanken sein? Es wäre tragisch, in seinem letzten Moment keine Klarheit zu haben, ob man versöhnt mit Gott in die Ewigkeit geht.
Hermann Grabe