Am Totensonntag steht mancher vor den Gräbern seiner Bekannten und denkt über sie nach, deren ganzes Leben nun zu einem kleinen Strich zwischen den Daten der Geburt und des Todes zusammengeschrumpft ist, wenigstens wenn man sich auf die Philosophie des Grabsteins einlässt. Natürlich ist das nicht alles; denn die Erinnerung an Gestorbene kann zu einer Quelle großer Dankbarkeit, aber auch größten Kummers oder gar grimmigen Zorns werden. Dann kommt wohl auch der Gedanke auf: Was wird mein Andenken bei meinen Verwandten und Bekannten bewirken?
Wer nun wirklich mit Gottes Verheißungen rechnet, dem fällt es wesentlich leichter, ehrliche Bilanz zu ziehen, als wenn man alles noch auf eigene Rechnung und Verantwortung machen muss und darum auf Entschuldigungen und möglichst viele plausible Ausreden angewiesen ist.
Solch ein Besuch auf dem Friedhof könnte zu einem ernsthaften Gespräch mit Gott führen, in dem man ihn bittet, er möge uns für unsere Umwelt zu einem Licht der Hoffnung und zu einem deutlichen Wegweiser zum Himmel machen. Gott kann uns dann auch zeigen, dass es nicht darauf ankommt, Recht zu behalten und sich überall mit seiner Meinung durchzusetzen, sondern dass man der eigentliche Gewinner ist, wenn man mit dem Partner in Frieden lebt und die Frage der Gerechtigkeit ruhig Gott überlassen kann.
Natürlich ist es oft zu spät, wenn einem solche Gedanken erst angesichts eines kalten Grabsteins kommen; aber sie können doch nützlich sein, wenn wir heimgehen und sie dort mit Gottes Hilfe in die Tat umsetzen. Man braucht auch nicht bis zum Totensonntag zu warten; denn es ist um jeden Tag schade, den man in dieser Hinsicht ungenutzt verstreichen lässt.
Hermann Grabe