»Wie kann ich möglichst viel für mich herausschlagen?«, lautet heute weithin das Lebensmotto. »Wie kann ich am besten anderen helfen?« war dagegen das Leitmotiv von Eva von Tiele-Winckler, geboren am 31. Oktober 1866 in Oberschlesien als achtes Kind einer der damals reichsten Familien der Provinz. Mit 16 Jahren entschied sie sich bewusst zur Nachfolge Jesu Christi. Dadurch sei ein »Doppelstrom der Liebe« in ihr aufgebrochen, der Liebe zu Gott und zu den Menschen im Elend. Sie kümmerte sich um die Armen in der Umgebung, wünschte sich dann jedoch eine systematische Grundlage für ihren Dienst. Dazu reiste sie mit 21 Jahren für acht Monate zu einer Grundausbildung nach Bethel zu den dortigen diakonischen Anstalten. Nach Hause zurückgekehrt, richtete sie im elterlichen Schloss eine Kranken- und eine Nähstube ein, war aber auch unterwegs, um Bedürftige zu betreuen.
Ihr Vater ließ ihr dann ein Heim »Friedenshort« für Kranke und Notleidende bauen, das sie als Hausmutter mit 24 Jahren übernahm. Diesen Tag bezeichnete sie als ihren »Hochzeitstag«. Um das nötige Personal heranzubilden, gründete sie zwei Jahre später eine eigene Schwesternschaft. Durch Erbschaften und Schenkungen wurde es ihr möglich, zu ihren Lebzeiten 70 weitere Heime in Deutschland einzurichten, darunter Häuser für Waisen und ausgestoßene Kinder sowie für strafentlassene Frauen. Auch die Betreuung weiblicher Häftlinge lag ihr am Herzen, ferner die furchtbare Not im Ersten Weltkrieg. Neben der äußeren Hilfe war ihr die geistliche Zurüstung der ihr Anbefohlenen durch Gottesdienste, Bibelstunden und Andachten wichtig. Am 21. Juni 1930 ging ihr Segensdienst hier auf Erden zu Ende. Otto Willenbrecht