Die Brüder Josephs hielten sich für anständige Leute. »Na ja, ab und zu muss man wohl etwas hemdsärmelig werden, um sein Ziel zu erreichen; aber im Ganzen bemüht man sich doch.« So dachten sie auch noch, als sie den ersten Zusammenstoß mit dem neuen Herrn Ägyptens hatten. Dann kamen sie in immer größere Schwierigkeiten, bis ihr Gewissen zu schlagen begann. Was hatten sie ihrem Bruder doch angetan! Sie erinnerten sich der Seelenangst des Siebzehnjährigen, als sie ihn in die Grube warfen und ihn später verkauften. Joseph verstand natürlich alles, was sie an Selbstanklagen vorbrachten. Sie meinten allerdings, er sei ein Ägypter, weil er einen Dolmetscher eingeschaltet hatte. Er hatte so großes Mitleid mit ihnen, dass er weinte; aber noch konnte er ihnen keine Vergebung zusprechen. Sie waren noch zu selbstgerecht und hatten nicht die ganze Schrecklichkeit ihrer Handlungsweise begriffen.
So macht es Jesus Christus auch heute mit uns. Wir tun ihm Leid; aber er kann erst segnen, wenn wir uns nicht mehr selbst rechtfertigen wollen. Die eigene Schuld anzuerkennen, ist Menschen gegenüber sehr gefährlich, weil sie das oft schamlos gegen uns verwenden. Darum heißt es im Allgemeinen: Keine Schwäche zeigen, nichts zugeben, Haltung bewahren! Gott gegenüber aber dürfen wir ehrlich werden und müssen es sogar, wenn er uns helfen soll. Jesus ist auf die Erde gekommen, um den Schaden zu beseitigen, den der Teufel angerichtet hatte, und um Sünder selig zu machen. Ihm darf man sich ausliefern, wie man sich einem Arzt ausliefert, der einem mit dem Messer einen bösartigen Tumor entfernt. Wer so »reinen Tisch« macht, wird nicht nur glücklich, sondern auch im Himmel ist über ihn große Freude.
Hermann Grabe