Vor einiger Zeit sah ich eine Vierjährige aus der Haustür gehen. Bald darauf stürzte ihr Vater hinterher und schrie ihr nach, sie solle zurückkommen. Die Kleine verlangsamte nicht einmal ihren Schritt, geschweige denn, dass sie sich nach dem »Alten« umgedreht hätte. Schließlich rief ihr der Vater nach: »Bleib nicht zu lange!« Damit wollte er einen winzigen Rest Autorität retten. Aber was hielt diese kleine Person von ihrem großen Vater? Scheinbar gar nichts.
Weil Gott das kommen sah, ist dieses Gebot wohl nicht nur das einzige mit Verheißung, sondern außer dem Sabbatgebot für die Juden auch das einzige, das mit einem Befehlswort anfängt. Alle folgenden Gebote müsste man nämlich wörtlich übersetzen: »Nicht wirst du morden, ehebrechen, stehlen« usw. Es ist, als ob Gott seinem Volk sagte, dass sie all das Schlechte doch unmöglich machen könnten. Nur in Bezug auf Vater und Mutter gab Gott sofort den Befehl, sie zu ehren. Das Wort »ehren« heißt im Alten Testament auch wertschätzen, verherrlichen und für gewichtig halten. Wie nötig dieser Befehl ist, können wir heute überall daran sehen, wie Kinder mit ihren Eltern umgehen dürfen. Konnte früher eine Mutter - zwar unter Anstrengungen und Entbehrungen - zehn Kinder erziehen, ist sie heute oft schon von einem einzigen Kind restlos überfordert.
So, wie das Gebot an das ganze Volk gerichtet ist, bezieht sich auch das lange Leben auf das Volk als Ganzes. Es würde in Frieden und Wohlstand von Generation zu Generation weiterleben, wenn die Kinder den Eltern gehorchten. »Zustände wie im alten Rom« sind in der Geschichte stets Zeichen des baldigen Verfalls und Untergangs gewesen.
Hermann Grabe