Der Dichter von »Max und Moritz«, Wilhelm Busch, schlüpfte einmal in das Fell eines Heuchlers und sagte:
Die Selbstkritik hat viel für sich. Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
so hab ich erstens den Gewinn, dass ich so hübsch bescheiden bin.
Zum Zweiten denken sich die Leut’: Der Mann ist lauter Redlichkeit.
Auch schnapp ich diesen Leckerbissen vorweg den andern Kritikküssen.
Und viertens hoff ich außerdem auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es dann zuletzt heraus, dass ich ein ganz famoses Haus.
Das klingt lustig, ist es aber überhaupt nicht; denn Heuchelei ist etwas ganz Schlimmes. Damit betrügt man andere, und wenn man sich daran gewöhnt hat, auch sich selbst.
Wie weit wir uns von der Wahrheit entfernen können, zeigt eine einfache Probe: Ich habe schon oft Leute von sich selbst sagen hören: »Was bin ich doch für ein Esel!«, oder: »Wie kann ich nur so dumm sein!« Wenn aber ein anderer, mit dem man gerade im Streit ist, denselben Menschen als Esel und Dummkopf bezeichnet, dann bekommt man etwas zu hören! Das zeigt, wie wenig man diese Formulierungen in Wahrheit ernst gemeint hat. Darum nimmt man es dann auch sehr übel, so betitelt zu werden.
Gott will, dass wir aufrichtig und wahrhaftig sind, weil er sonst gar nicht mit uns reden kann und will. Wir dürfen ihn aber um innere Wahrhaftigkeit bitten; denn nur so kann er uns durch unser Gewissen anhalten, das Böse zu lassen und das Gute zu tun. Die Kraft dazu will er uns gerne schenken.
Hermann Grabe